Wie können wir als Kommune das Problem des Fachkräftemangels in den Kitas nachhaltig lösen? So kann man eine Diskussion im Sozialausschuß im April 2023 (JGSA) zusammenfassen. Politisch diskutiert man teilweise eher über einen Wertschätzungsmangel statt eines Fachkräftemangels. Doch selbst wenn diese Wertschätzung z.B. durch Vergütung, Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, Erleichterung in der Bürokratie (Dokumentationszeiten), guten Betreuungsschlüssel und Freizeitausgleich gegeben wäre, hätte man immer noch die Durststrecke von einigen Jahren, bis neue Kräfte überhaupt ausgebildet wären.
Ich beantrage die Aufstellung eines offenen Maßnahmenkataloges, der priorisiert nach zeitlichem und finanziellem Aufwand einen Leitfaden für Rat und Verwaltung darstellt, um Fachkräfte für unsere Gemeinde und Kinder zu gewinnen. Wobei sukzessive die darin vorgegebenen Maßnahmen je nach bestehendem Bedarf und Aufwand individuell zu beraten und zu beschließen sind.
Des Weiteren beantrage ich, daß nachstehende Maßnahmen in diesem Maßnahmenkatalog aufzunehmen sind zur weiteren Erörterung.
Da ich die Möglichkeit sehe, wie wir als öffentliche Hand, Privatpersonen selbst, aber auch Unternehmen hier aktiv mitwirken können, habe ich es nachstehend entsprechend gegliedert. Für die weitere Abwägung ist jedoch der Aspekt der Implementierung (Dauer bis Wirkungseintritt) und Kosten genauer zu betrachten. Social Media Recruiting zu optimieren ist sicherlich deutlich weniger aufwendig als öffentlichen Wohnraum zu fairen Mietpreisen für Berufsstarter*innen zu schaffen, dennoch sollten alle Ideen gesammelt werden.
Da das Thema mich seit längerem verfolgt, habe ich auch einige Ideen sammeln können, verschiedene Konzepte mit demselben Ziel, daß wir als Kommune aktiv verschiedene Schritte einleiten, die dazu beitragen können, Fachkräfte für uns zu gewinnen.
Praxisintegrierte Ausbildung (PiA)
Aus dem Job heraus in die Weiterbildung zu gehen, ist sehr attraktiv. Drei Tage die Woche arbeiten und Geld verdienen, zwei Tage die Woche Weiterbildung. Kritik ist hierbei, daß diese Arbeitskräfte dann ja zwei Tage die Woche ausfallen würden.
Doch umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wir müssen offen kommunizieren, daß wir eine praxisintegrierte Ausbildung fördern! Darüber können wir neue Arbeitskräfte gewinnen, die die Ausfallzeiten für die Ausbildung kompensieren. Also nicht diejenigen sehen, die dann für die Ausbildung ausfallen, sondern diejenigen, die wegen dieses Ausbildungskonzeptes zu uns kommen.
Nicht nur die Stadt Bremen hat mit PiA schon gute Erfahrungen gemacht,
hier weiterführende Informationen:
https://www.erzieherin-bremen.de/schule/pia/
https://www.kita.de/wissen/pia-ausbildung/
Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch weniger Wochenarbeitszeit
Die Kritik bei einer praxisintegrierten Ausbildung, daß die Betroffenen dann ja nur drei Tage die Wochen arbeiten würden, führt zu einer Diskussion über einen weiteren Aspekt, der gern übersehen wird:
3 Wochenarbeitstage könnten für solche herausfordernden Berufe schnell die Regel werden, auch weil für manche ein Halbtagsjob sich besser mit der Familie vereinbaren ließe.
Viele – vor allem immer noch häufig – Mütter suchen nach Halbtagsstellen.
Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie versteckt sich hinter der Frage der Wochenarbeitszeit. Wir sollten sehr flexibel sein bei der Stundenfestsetzung, Teilzeit ist attraktiv.
Social Media Recruiting niedrigschwellig halten (Stichwort Buzz Feed)
Faustregel: Je mehr Anforderungen und Tätigkeiten ich in eine Stellenanzeige packe, desto weniger Bewerbungen gehen ein. Gerade im Bereich Social Media lohnen sich Konzepte des niedrigschwelligen Dialoges statt nur Anzeigen online zu stellen.
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, daß gerade Online-Quizze super ankommen, da sie auch einen interaktiven Charakter haben. Statt vieler Kanäle reicht eine Implementierung auf der Homepage und als Link gepostet auf Facebook und Instagram mit entsprechendem Werbebudget. Und man fordert nicht schon Lebenslauf und Zeugnisse an, sondern erst mal nur niedrigschwellig die Kontaktdaten, um einen Fuß in der Tür zu haben. Ich verweise auch auf die Sprachbarriere gerade bei ausländischen Arbeitskräften. Je niedrigschwelliger und einfacher, desto besser.
Natürlich müssen wir formal-juristisch auch weiterhin die Tagespresse nutzen, doch Social Media Recruiting ist heutzutage nicht mehr wegzudenken.
Das Quiz fragt z.B. nach Führerschein, Assoziationen zu Bildern o.ä. auf sympathisch-freche Weise, am Ende gelangt man zum Stellenangebot, muß nur seine Kontaktdaten eingeben, danach erfolgt die Kontaktaufnahme durch die Gemeinde.
Schaffung von kommunalem Wohnraum (Werkswohnungen)
Bei meinem Antrag zu Tiny Houses bzw. Mehrgenerationenhäusern mit Werkswohnungen für ein in Planung befindliches Baugebiet hatte ich es schon erwähnt, daß es auch auf kommunaler Ebene attraktiv ist, günstigen Wohnraum für das eigene Personal vorzuhalten. Auch von Seiten der GRÜNEN und der SPD wurden Dienstwohnungen im Sozialausschuß jüngst angesprochen.
Vorstellbar sind 2-Zimmer-Wohnungen oder Tiny Houses gerade für Berufsstarter*innen, um sich hier zu orientieren und anzukommen. Sobald man eine Familie gründet, wird man sich eh was Größeres suchen:
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/fachkraefte-dienstwohnung-arbeitgeber-101.html
https://www.deutschlandfunk.de/im-wettbewerb-um-fachkraefte-comeback-der-werkswohnung-100.html
Vorteil gegenüber privaten Anbietern: Während wir einerseits an den TVÖD gebunden sind und damit die Löhne fix sind, können solche Benefits wie günstiger Wohnraum einen konkurrenzlosen Mehrwert darstellen und Personal auch an unsere Gemeinde binden allein über die günstigeren Lebenshaltungskosten.
Es empfiehlt sich dann jedoch, den Bestand an eigenen Immobilien so groß zu konzipieren, daß der damit einhergehende Verwaltungsaufwand durch die Schaffung einer eigenen Stelle abgedeckt werden kann mit den Einnahmen aus der Vermietung.
Benefits mit Mehrwert
Mitgliedschaften in Fitneßvereinen sind nicht für alle was, zumal es auch wieder Zeit kostet. Doch Benefits wie Deutschland-Ticket, Mittagsverpflegung in der Kita, E-Bike-Leasing bzw. Lastenrad o.ä. sind auch vorstellbar, sofern rechtlich möglich. Ein monetärer Gegenwert in Form von Naturalien.
Außerdem sollten wir unsere Stärken aufzählen und nach vorn stellen, dazu zählen u.a. die sehr gute Bahnanbindung an Oldenburg, Delmenhorst und Bremen, wodurch Hude überhaupt erst groß geworden ist, das natürliche Umfeld und die gute Nahversorgung.
Insbesondere das verarbeitende Gewerbe trägt einen wesentlichen Anteil zu unserer Gewerbesteuer bei, gleichzeitig stellen sie auch einen Großteil der Arbeitsplätze, die ihrerseits von einer guten Kindergartenbetreuung abhängig sind.
Betriebskindergarten
Kein Unternehmen per se ist groß genug, daß sich womöglich ein eigener Kindergarten lohnen würde wie bei größeren Konzernen. Doch zusammen mit der Gemeinde als Schnittstelle können wir das Konzept eines Betriebskindergartens anregen.
Wir stellen die Fläche und helfen bei der Orga, schaffen finanzielle Anreize o.ä., die Betriebe investieren in Bau und Personal. Sie können übertariflich bezahlen, was für Erzieher*innen sicherlich attraktiv ist, die Imagewirkung wäre enorm, gleichzeitig ist es ein Benefit für den Fachkräftemangel auf Unternehmensseite, wenn diese für ihre Bewerber*innen einen Kindergartenplatz gewährleisten können.
Vorstellbar wäre nach Fertigstellung der Kita Amselstraße und Umzug der Gruppen dorthin, daß womöglich das alte Gebäude der Villa Kunterbunt neu errichtet wird als erste Idee, das alte Gebäude dort steht auch nicht unter Denkmalschutz. Wir schaffen Erbbaurecht, so lange die Fläche für eine Kita genutzt wird, stellen wir sie zur Verfügung.
https://www.kita.de/wissen/betriebskindergarten/
Kommunikation
Außerdem empfiehlt sich eine enge Kommunikation mit den Unternehmen und wenn ja, wo diese wie betroffen sind, weil deren Angestellte Probleme bei der Kinderbetreuung haben. Präsenz zeigen und die regionale Wirtschaft aktiv einbinden.
Wer betroffen ist, möchte auch was tun, um es zu lösen. Gerade diejenigen, die werktätig sind, brauchen händeringend Betreuungsplätze.
Tagesmütter online
Eine Kundin von mir bat um eine sehr einfache Lösung für eine Landkarte mit Tagesmüttern und -vätern in Oldenburg. Angefangen mit einem halben Dutzend Mitmachenden ist es ganz schön angewachsen. Entwicklungskosten waren sehr niedrig, pro Tagesmutter hat sie eine kleine Pauschale für die Verwaltungsarbeit erhoben. So ein Netzwerk hier vor Ort würde schon viel helfen. Und die Kommune könnte eine Anschub-Finanzierung leisten und in der Organisation begleitend helfen.
Siehe hier:
https://tagesmutter-in-oldenburg.de/
Anmerkung: Je schwieriger die Zeiten werden, desto attraktiver werden auch solche Angebote für Menschen, die große Räumlichkeiten zu Hause haben oder einen Wunsch nach besser Planbarkeit.
Imagewerbung – ein Dorf bewirbt sich
Nicht die Fachkräfte bewerben sich bei uns, sondern wir bei den Fachkräften. Eltern und Kinder werben auf den sozialen Medien und in der Presse um Fachkräfte, Willkommenskultur leben.
Es sollte natürlich erst gemacht werden, wenn auch strukturell in unserer Gemeinde ein Mehrwert für den Beruf geboten wird wie z.B. PiA wegen der Glaubwürdigkeit, doch es bezieht die Eltern ein und schafft Wertschätzung. Siehe hier am Beispiel einer Bewerbung eines Dorfes um einen Arzt.
Finanziert durch die Verwaltung (z.B. Anzeigekosten auf Social Media) wäre es ein sehr lebendiges Konzept.
Rechtlich zu klären – Abschlußprüfung ohne Ausbildung?
Mir ist bekannt, daß zumindest in einigen Ausbildungsberufen die Abschlußprüfung auch nach dem 1,5-Fachen der regulären Ausbildungszeit abgelegt werden kann nach langjähriger praktischer Tätigkeit. Das könnte geprüft werden für die Tätigkeit als Erzieher*in. Um die theoretischen Inhalte abzudecken, sollte in diesem Fall pro-aktiv Bildungsurlaub für die Betroffenen ermöglicht werden und entsprechendes Material bereitgestellt werden.
Es darf nicht an Zeugnissen, Urkunden und Scheinen scheitern, daß z.B. faktisch qualifizierte Mitarbeiter*innen nicht in Randzeiten helfen dürfen. Doch wenn es bürokratisch so ist, müssen wir alle Tricks der Bürokratie nutzen, um unserem Personal die nötigen Nachweise zu ermöglichen, privates Engagement der Erzieher*innen stärken.
Rechtlich zu klären – ist Indoor-Betreuung rechtlich anders als Outdoor-Betreuung?
Ich kenne Exkursionen, bei denen Eltern als Begleitperson dabei sind. Mir drängt sich die Frage auf, ob ein Tagesausflug z.B. in den Wald einen anderen Betreuungsschlüsse und Auflagen mit sich brächte als eine Betreuung in der Kita selbst? Sollte es da Unterschiede geben, könnte mit Unterstützung der Eltern das Kindergartenkonzept einen stärkeren Exkursionscharakter bekommen, was auch gesellschaftlich spannend wäre. Das wäre jedoch zwingend rechtlich zu klären und organisatorisch herausfordernd. Grundgedanke: Das Betreuungskonzept so abändern, daß andere rechtliche Grundlagen gelten.
Ich persönlich halte nichts davon, den Schwarzen Peter nach oben weiterzugeben von wegen Warten auf die Landesregierung. Abgesehen davon, daß es akute Probleme nicht lösen kann, funktioniert es logisch nicht:
Wenn das Land die Ausbildung voll bezahlt, eine bessere Vergütung finanziert, Quereinsteiger*innen / niedriger Qualifizierte auch in Randzeiten zuläßt usw. …
Ein Appell an die Landesregierung sehe ich als wenig zielführend an, zumal die Parteien im Rat auch großteils im Landtag vertreten sind. Es würde unsere Probleme vor Ort nicht lösen und wäre rein symbolischer Natur. Die Probleme sind allen bekannt. Jedoch würde es eher noch unsere eigene Handlungsunfähigkeit unterstreichen. Wir müssen raus aus der Abwärtsspirale und stärker Eigeninitiative entwickeln!
Ich hoffe, diese erste Ideensammlung kann dazu beitragen, eine nachhaltige Lösung im Umgang mit dem Fachkräftemangel zu entwickeln mit und aus der Gesellschaft heraus.